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Agile Transformation – Fokus 2: Die "Agile Führungskraft"

Anforderungen an agile Führungskräfte; von Andreas Karutz
Agile Führungskräfte

Oft verkannt und durch kein Zertifikat zu heilen: Nur die besten und stärksten Führungskräfte dürfen innerhalb einer agilen Transformation mit der Rolle der "Agilen Führungskraft" betraut werden. Aber wer ist eine "Agile Führungskraft"?

 von Andreas Karutz 


Nur die stärksten Führungskräfte können "Agile Führungskräfte" sein

Agilität als Rohstoff

Agilität ist eine Art Rohstoff, der in verschiedenen Unternehmensbereichen eingesetzt werden kann. Aus der Softwareentwicklung kommend wenden sich mehr und mehr Unternehmen agilen Prinzipien und Methoden zu. Anwendung finden diese in allen komplizierten und komplexen Aufgabenstellungen eines Unternehmens, also z. B. auch in Vertrieb, Produktentwicklung und Marketing. Nur in solchen Aufgabenstellungen machen sie auch Sinn. Standardaufgaben löst man mittels optimierter Prozesse.

 

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Meist ist das ein Resultat der Digitalisierung, in der Firmen eine neue Dynamik im Markt- und Konkurrenzumfeld erleben, die ihr Geschäftsmodell tangiert: neue Wettbewerber mit neuen Produkten und Dienstleistungen treten in den Markt ein und Kunden werden anspruchsvoller und wollen differenzierter bedient werden. Zusätzlich ändern sich die Ansprüche vor allem jüngerer Mitarbeiter an ihr Arbeitsumfeld (Vernetzung und Kollaboration).

 

Vor diesem Hintergrund versprechen agile Praktiken und Methoden eine bessere Bewältigung dieser Herausforderungen und mehr Effizienz - auch im Management.

Agilität verarbeiten

Möchte ein Unternehmen agile Methoden einführen, ist das nicht mit der Vermittlung von ein paar Tools und Techniken getan. Die Mehrzahl aller Mitarbeiter wird nämlich auch zukünftig nicht in agilen Strukturen arbeiten, weil deren Tätigkeiten sich in (Best Practice) Prozessen abbilden lassen (z. B. Auftragsbearbeitung oder bestimmte Produktions- und Verwaltungsabläufe). Trotzdem berühren agile Veränderungen ein Unternehmen als Ganzes und werfen Fragen auf hinsichtlich der Organisation von fachbereichsübergreifender Zusammenarbeit bis hin zur Führung crossfunktionaler Teams. 

 

Um diese Führung geht es jetzt. 

Als Anforderungen an agile Führungskräfte werden oft genannt: ermögliche dein Team, sei ein Vorbild, mach mit, bring dich ein und beschütze dein Team. Das hört sich gut an und würde von den meisten Mitarbeitern und Führungskräften so unterschrieben werden. Unklar ist, wieso diese allgemeinen Anforderungen prägend für agile Führung sein sollen? Auch reicht es nicht, dass sich etwas gut anhört, es muss auch gut gemacht werden. Und welche Führungskraft ist mit dieser Definition angesprochen?

Agile Führungskraft sein

Scrum Master und Product Owner (um im Scrum Frame zu sprechen) sind laterale Führungskräfte, aber sie verfügen in der Regel nicht über nennenswerte Ressourcen (Geld, Personal) und üben nicht die disziplinarische Verantwortung aus. Geht es also um Budgets, personelle Verstärkungen, juristisch legitimierende Unterschriften oder auch um notwendig werdende disziplinarische Maßnahmen, so bedarf es eines Entscheiders.

 

Ein Entscheider ist eine höhere Führungskraft außerhalb der z. B. im Scrum Guide beschriebenen Rollen.

Entscheider arbeiten meist in der der klassischen Linienorganisation des Unternehmens (außer in Start-Ups) und sind entscheidend für den Erfolg in der Transformation. Sie müssen über ein agiles Mindset verfügen und sollten in der Organisation angesehen sein.

 

Nur die besten und stärksten Führungskräfte können "Agile Führungskräfte" werden. Als „Möglichmacher“ im wörtlichen Sinn schützen diese die Teams z. B. in den Sprints gegen Eingriffe von außen, oder stärken dem Product Owner im Dialog mit den Stakeholdern den Rücken (in welchen Unternehmensbereichen und in welcher Bezeichnung auch immer). Agile Veränderungen bleiben an dieser Hürde oft lange hängen, wenn Agilität auf die Einführung von Tools, Methoden und Kompetenzen reduziert wird. 

 

Auch in einem agil geführten Unternehmen wird es nicht agile Strukturen und Hierarchien geben (z. B. Geschäftseinheiten, Zentral- und Servicebereiche, Projektteams, Vorstände), schon weil deren Aufgaben sich nicht zur Agilisierung eignen. Aber diese Strukturen werden auf ein Minimum geschrumpft und treten in den Hintergrund.      

 

Mit anderen Worten:

Es gibt keine ideale Organisation. Gemischte Führungs- und Organisationslösungen (Hybriden) sind in der Praxis regelmäßig anzutreffen und ganz gut, wenn sie auf die Bedingungen des jeweiligen Unternehmens zugeschnitten sind. Wichtig ist das Streben nach wertschöpfenden Prozessen und Vernetzung. Wertschöpfende Prozesse verquicken den Kundennutzen mit dem Unternehmenszweck. Vernetzung sorgt für die Bildung von informellen Communities und bringt das Wissen der Firma in die Prozesse.

 

"Agile Führungskräfte" haben viel zu leisten. Sie kommen aus dem bestehenden (Top-)Management. Sie sind Macht-Promotoren die Agilität verinnerlicht haben und den Veränderungsprozess permanent antreiben, unterstützen und ggf. Widerstände überwinden. Diese Führungskräfte stellen Teams aus Top-Leuten zusammen, setzen die Rahmenbedingungen und sorgen für die Vermittlung der benötigten Kompetenzen. Ferner gewinnen sie Mitarbeiter als Multiplikatoren. Unter dieser Protektion können sich Selbstorganisation und Selbstführung in den Teams entwickeln. 

Und trotzdem keine Garantie

Selbst eine mustergültige Anwendung agiler Frames führt nicht automatisch zum Erfolg. Schon gar nicht im Management. Agile Inseln in gewachsenen Unternehmen sind erstmal Fremdkörper, mit denen der Rest der Organisation noch nicht viel anfangen kann. Die "Agile Führungskraft" ist der Motor für eine agile, offene Kultur im Unternehmen (v.a. zu den Stakeholdern), die gemeinhin als Voraussetzung für Eigeninitiative und Innovationsfreudigkeit gilt. So wird man zur "dienenden Führungskraft" im besten Sinne. Das ist keine leichte Aufgabe. Sinnvollerweise lassen sich Führungskräfte darin von Agile Coaches unterstützen.